9. Phlebologisches Symposium Essen
Moderne Gefäßtherapie: konservativ vs. invasiv
9. Phlebologisches Symposium Essen
Moderne Gefäßtherapie: konservativ vs. invasiv
Im Fokus des Symposiums standen die Anatomie und Physiologie der Bein-Gefäße, innovative diagnostische Möglichkeiten und Kompressions-Indikatoren sowie konservative und invasive Behandlungsoptionen. Ergänzend wurde über Sonderfälle in der Phlebologie wie z. B. Varikosen bei arteriellen Begleiterkrankungen sowie bei Kindern und bei älteren Menschen referiert.
Das Symposium war in fünf Themenschwerpunkte unterteilt. Zum Abschluss des Vortragsprogrammes referierten Mitglieder der „Jungen Phlebologen“ über seltene Fälle und eine phlebologische Notfallsituation. Außerdem stellte die diesjährige Gewinnerin des JUZO Forschungspreises ihre Forschungsarbeit vor.
I. Basics
Ao. Univ.-Prof. Dr. med. univ. Erich Brenner, MME, Innsbruck, Österreich, startete das Vortragsprogramm zum 9. Phlebologischen Symposium mit der Frage, ob die Anatomie und Physiologie des Venensystems bei allen Menschen identisch wären. Das dies „natürlich nicht“ der Fall sei, präsentierte Brenner in seinem Vortrag und verwies darauf, dass bereits während der embryonalen Entwicklung ein massiver Umbau des Venensystems stattfinde. Auch könnten Angewohnheiten wie viel Sitzen dazu führen, dass man Venen „versitzt“.
Der Humangenetiker Dr. rer. nat. Dr. med. René Hägerling, Berlin, präsentierte in seinem Vortrag „Gefäßdiagnostik quo vadis“, dass eine 2D-Darstellung der Gefäße oftmals nicht ausreiche, um die Ursachen mancher Erkrankungen zu identifizieren. So könne mit Hilfe der neuartigen 3D-Histologie, basierend auf optischer Schnittbildgebung durch lichtblatt-mikroskopische Schichtbildaufnahmen, im Vergleich zum 2D-Verfahren, das gesamte Gefäßnetzwerk mit größerer Aussagekraft dargestellt werden.
Welche Indikationen welche Therapie erfordere, wann medizinische Kompressionsstrümpfe (MKS) genügend seien und wann invasive Maßnahmen benötigt würden, stellte Dr. med. Jasmin Woitalla-Bruning, Hamburg, vor. Kriterien wie die Ausprägung, der Befund, das klinische Stadium, etwaige Begleiterkrankungen, der Wohnort, das Alter und die Wünsche der Patientinnen und Patienten würden die Therapieentscheidung beeinflussen. Eine Versorgung mit MKS könne bereits ab dem Stadium C1 in Betracht gezogen werden, alle weiteren Therapieoptionen bei symptomatisch chronischen Venenerkrankungen seien unter individuellen Gesichtspunkten zu entscheiden.
II. Konservative Therapie
Dass Kompression vielfältig zur Therapie unterschiedlicher Erkrankungen, auch bei nicht venösen oder lymphatischen Indikationen, eingesetzt werden könne, zeigte Prof. Dr. med. Joachim Dissemond, Essen, anhand unterschiedlicher Fallbeispiele. So könne beispielsweise die Kompressionstherapie bei Dermatosen, Adipositas assoziierten Ödemen, dem Lipödem zur Reduktion der Schmerzen oder bei Ödemen während der Schwangerschaften eingesetzt werden. Zur Therapie können verschiedene Systeme wie Medizinische Adaptive Kompressionssysteme (MAK), Ulcus-Strumpf-System oder Kompressionsstrümpfe mit unterschiedlichem Kompressionsdruck genommen werden. Die Therapie sollte dabei immer individualisiert werden und man solle ggf. mit einem niedrigeren Druck die Therapie beginnen, da ein Kompressionsstrumpf mit einer Kompressionsklasse 3 „im Schrank weniger hilft als ein Kompressionsstrumpf mit einer Kompressionsklasse 1 am Bein.“
Dr. med. Hans-Walter Fiedler, Werl, erklärte in seinem Vortrag, dass ein Ödem vor der Behandlung und Therapie einer chronischen Wunde immer entstaut werden müsse. Dafür könnten unterschiedliche konservative Maßnahmen zum Einsatz kommen, unter anderem MAK. Diese würden sich perfekt für das selbstständige Anlegen eignen da sie nach Einweisung einfach und sicher zu handhaben sind und die Druckanpassung flexibel sei
III. Invasive Therapie
Der Gefäßchirurg Dr. med, habil. Pavlos Tsantilas, Augsburg, diskutierte, inwiefern konventionelle Chirurgie noch benötigt werde und präsentierte endovenöse thermische Ablationen im Methodenvergleich an Fallbeispielen. Hier würden beispielsweise Laserablationen oder die Radiofrequenztherapie (RFA) gleichwertig effektiv zur Crossektomie und dem Stripping sein, erforderten jedoch weniger OP-Zeit und bergen als minimalinvasive Therapieform ein geringeres Risiko zu Nachblutungen, Wundinfektionen und Nervenläsionen.
In seinem Vortrag hinterfragte Dr. med. Guido Bruning, Hamburg, kritisch, ob die Varizen-OP bzw. „das gallische Dorf“ noch seine Berechtigung habe. Da die Leitlinien der europäischen Länder sich bezüglich der unterschiedlichen Verfahren nicht einig seien, könne man sich mithilfe des sogenannten IGeL-Monitors und dessen evidenzbasierter Datenbasis nach unterschiedlichen Verfahren erkundigen. Jener bewertete die Laserbehandlung von Krampfadern im Vergleich zur Operation mit „unklar“. Ungeachtet dessen, sei kritisch zu hinterfragen, was für die Patientin oder den Patienten das Beste sei.
Wie anspruchsvoll und langwierig die Diagnose des pelvinen Stauungssyndroms (PCS) sein kann, präsentierte die wissenschaftliche Leitung des Symposiums PD Dr. med. Dominic Mühlberger, Linz, Österreich. Anhand eines Fallbeispiel, bei dem die Patientin über elf Ärztinnen und Ärzte aufsuchte, um eine Diagnosestellung zu erhalten, ging Mühlberger auf die Komplexität von PCS und die Ursachenfindung von unbekannten chronischen Unterleibsschmerzen bei Frauen ein. Eine Möglichkeit, PCS zu diagnostizieren, sei die Pressphlebographie, wobei die Patientinnen und Patienten wach seien und die Untersuchung auf einem Kipptisch stattfinde.
Dr. med. Meike Finkenrath, Kempen, stellte das Verfahren der (Schaum-)Sklerosierung vor. Dieses könne prinzipiell als Therapie bei allen Formen der Varikose eingesetzt werden. Ein großer Vorteil dieser Therapie sei die Darstellung des Schaumflusses via Ultraschall. Zudem sei es schonend für Patientinnen oder Patienten, einfach und sicher. Dieses Verfahren erfordere keine Umstellung der Medikation, sei mehrfach wiederholbar, bedeute keine Einschränkungen im Alltag und sei im Vergleich zu anderen Verfahren kostengünstig.
IV. Sonderfälle in der Phlebologie
Der Radiologe Dr. med. Wolfgang Karl Matzek, EBIR, ÖGIR2, Wien, Österreich, referierte über die Gemeinsamkeiten und Unterschiede in Morphologie, Diagnostik und Therapie bei chronisch-venöser Insuffizienz (CVI) und venöser Gefäßmalformationen. Dabei stellten vaskuläre Tumore, meist im Kopf-Hals- Bereich, Anomalien dar, welche oftmals bei jungen Patientinnen und Patienten auftreten würden. Zur Diagnostik könnten unterschiedliche Verfahren wie Sonografie, MRT, MRA oder CT und CTA eingesetzt werden. Für die Therapie komme meist eine Kombination aus mehreren Methoden wie z. B. thermische oder nicht thermische Verfahren, Kompression, systematische Schmerztherapie oder Neurolyse zum Einsatz.
Wie man Varikosen bei Kindern, Jugendlichen und älteren Menschen behandle und was zu beachten sei, stellte PD Dr. med. Beatrix Cucuruz, Nürnberg, vor. So würden bei jedem vierten Kind Gefäßanomalien, also Gefäßtumore oder Gefäßmalformationen, auftreten. Besonders sei zu beachten, dass man Verfahren wie Ultraschall oder MRT durchführe, um etwaige arteriovenöse Fisteln oder Aneurysmen ausschließen zu können.
Dr. med. Alfred Obermayer, Melk, Österreich, erklärte, was bei einem arteriovenösem Ulcus cruris zu tun sei. Da jedoch „Ulcus nicht gleich Ulcus“ sei, gelte es, die unterschiedlichen Indikationen zu identifizieren und das Ulcus richtig zu klassifizieren. Bei einem Ulcus cruris venosum sei die unmittelbare Ursache eine venöse Hypertension, wobei der Druck in der Lokalvene zu groß sei. Bei einem Ulcus cruris mixtum lägen jedoch arterielle und venöse Ursachen vor. Für die beste Therapie sei entscheidend, die richtige Indikation zu identifizieren und dabei die Venen nicht zu vergessen.
Um Spätfolgen von Venenerkrankungen zu vermeiden, sei eine frühe Therapie entscheidend, plädierte Prof. Dr. med. Anke Strölin, Tübingen. So müsse beispielsweise besonders auf eine optimale Hautpflege geachtet werden, da Patientinnen und Patienten aufgrund einer gestörten Barrierefunktion ihrer Haut Kontaktsensibilisierungen auch gegen wenig potente Allergene entwickeln könnten.
V. Lymphologie
Dr. Hägerling widmete sich in einem zweiten Vortrag der Genetik beim primären Lymphödem. In der Molekulargenetik gleiche die Diagnostik der Ursache der Suche nach einem Tippfehler in über 23.000 Büchern. Genetische Ursachen seien hinsichtlich Therapie und Vererbung im Falle eines Kinderwunsches von großer Bedeutung. Auch spiele die Geschlechterrolle beim primären Lymphödem eine entscheidende Rolle: Studien hätten ergeben, dass bei Frauen mit einer Genveränderung auf dem Gen CELSR1 eine 85 % Wahrscheinlichkeit hätten, ein primäres Lymphödem zu entwickeln, während die Wahrscheinlichkeit für Männer nur bei 5 % liege.
Das Lymphödem, dessen klinische Diagnostik und Therapie stellte PD Dr. med. Anett Reißhauer, Berlin, vor. Dabei ist das Lymphödem eine chronische Erkrankung, welches zur Progression neige. In den meisten Fällen trete es im Bereich der Extremitäten auf, kann jedoch auch z. B. im Hals-Kopf-Bereich oder anderen Körperbereichen auftreten. Man unterscheide zwischen primären und sekundären Lymphödemen. Für beide Formen des Lymphödems stellt die komplexe physikalische Entstauungstherapie (KPE) eine der wichtigsten Therapieformen dar. Additive Therapieverfahren wären die Elektrotherapie mittels Tiefenoszillation, Krankengymnastik, Aquafitness etc. Jede Patientin bzw. jeder Patient benötige eine personalisierte Therapie, welche meist interdisziplinär erfolge.
Univ. Prof. Dr. med. Manfred Infanger, Magdeburg, präsentierte chirurgische Behandlungsmöglichkeiten bei einem Lipödem. So sei, laut Infanger, eine sechsmonatige unwirksame konservative Therapie eine Indikation für einen chirurgischen Eingriff, eine Liposuktion. Dabei würden Fettzellen aus dem Gewebe abgesaugt. Die Kanüle müsse immer parallel zu den Lymphbahnen geführt werden und man solle nie mehr als drei bis vier Liter Fettgewebe pro Operation absaugen.
Den Schluss des 9. Phlebologischen Symposiums bildeten die „Jungen Phlebologen“ Dr. med. Daniel Czesla, Heidelberg, Marc van der Meirschen, Hamburg, und Juzo Forschungspreis-Gewinnerin Henrike Meyer; Leipzig. Dr. Czesla stellte das selten vorkommende Krankheitsbild Myofibrom vor, während Herr van der Meirschen den phlebologischen Notfall einer Varizenblutung vorstellte. Meyer präsentierte abschließend ihre Forschungsarbeit „Sekundäres Lymphödem bei gynäkologischen Krebspatientinnen: Validierung des Gynecologic Cancer Lymphedema Questionnaire in deutscher Sprache (GCLQ-GER) sowie Erfassung der Versorgungsrealität“.
Zum Schluss ermutigte PD Dr. med. Dominic Mühlberger sich für den Juzo Innovationspreis sowie den Juzo Forschungspreis zu bewerben und kündigte das 10. Phlebologische Symposium am 15. November 2025 in Leipzig an.
Mehr zu den Veranstaltungen der Akademie finden Sie unter juzo.de/akademie.
Juzo mit Hauptsitz im bayerischen Aichach wurde 1912 in Zeulenroda (Thüringen) gegründet und beschäftigt weltweit über 1.100 Mitarbeitenden. Mit der Schwesterfirma in den USA und den verschiedenen Tochterfirmen und Vertriebsorganisationen in Europa und Kanada bedient der Hersteller medizinischer Hilfsmittel einen internationalen Markt. Als Spezialist mit über 100 Jahren Erfahrung in der Kompressionstherapie hat Juzo es sich zur Aufgabe gemacht die Lebensqualität der Patientinnen und Patienten zu verbessern und Beschwerden nachhaltig zu lindern. Dafür produziert das Unternehmen innovative Produkte – größtenteils „Made in Germany“ – aus den Bereichen Phlebologie, Lymphologie, Narbenmanagement und Orthopädie wie Kompressionsversorgungen in Rund- und Flachstrick sowie Bandagen und Orthesen. Neben den Produkten der Fachhandels-Marke Juzo gibt es die Juzo Akademie mit Fortbildungen für den medizinischen Fachhandel, die Marke sportomedix mit hochfunktionellen Produkten für ambitionierte Sportlerinnen und Sportler und die Marke EquiCrown mit medizinischen Kompressionsbandagen für Pferde. Mit Hightech, Handarbeit und Herzblut arbeiten die Mitarbeitenden bei Juzo an innovativen und individuellen Lösungen für mehr Lebensfreude in Bewegung. Weitere Infos unter juzo.de